Ob bzw. wie sehr, dass Equipment eine Rolle spielt, ist wohl eine der am häufigsten gestellten Fragen bei Fotografie und Videografie im Internet aber auch am Foto-Stammtisch.
Da mein Fokus auf der Wildlifefotografie liegt, wird der Schwerpunkt der Bewertung sicherlich dort sein, allerdings schiesse ich auch regelmässig Porträts und kenne mich auch in diesem Bereich relativ gut aus. Im weitesten Sinne lassen sich sowieso die meisten Gründe und Erklärungen auf die anderen fotografischen Disziplinen übertragen.
Was fotografiere ich, was sind meine Motive und mein Budget?
Im Beispiel links seht ihr 3 verschiedene Kameras und 3 verschiedene Teleobjektive, aber auch 3 verschiedene Preisklassen - von Links nach Rechts günstiger werdend.
Links: Sony A1 + Sony 600 F4 GM
Mitte: Sony A9ii + Sony 200-600 F5.6-6.3
Rechts: Sony A7RIV + Sony 100-400 F4.5-5.6 GM
Doch welche Kombination braucht man denn nun, welches ist die Richtige? Oder brauch ich gar alle?
Die meisten Kamera und Objektiv-Empfehlungen basieren auf der alleinigen Grundlage der Frage, was du denn damit machen möchtest. Also was sind deine Motive, möglichst gewichtet nach Häufigkeit der Anwendung? Beispielsweise Schwerpunkt Vögel, gefolgt von Katzen/Hunden und Insekten (Makros).
Dieser Ansatz ist keinesfalls falsch, aber aus meiner Sicht gibt es noch eine weitaus wichtigere erste Frage die man sich vorgängig stellen sollte. Nämlich: Was ist das Budget und was sind die persönlichen Erwartungen/Ansprüche an die Fotos die ich erwarte?
Beispiel 1:
Wenn man Vögel fotografieren möchte, diese sollen möglichst formatfüllend, scharf bis ins letzte Federdetail sein und der Hintergrund soll so richtig ausgeblendet und cremig sein. Ebenfalls ist es dir wichtig du kannst auch bei Sonnenauf- oder Sonnenuntergang, also bei wenig bis mässig Licht unterwegs sein.
Sony A1 + Sony 600mm F4 GM bei Offenblende
Beispiel 2:
Wenn du Vögel oder andere Tiere mehrheitlich unter Tags bei gutem Licht fotografieren möchtest, du erwartest gute Fotos auf denen man die Art sehr gut identifizieren kann, die für Facebook, Instagram oder auch mal ein Fotoalbum absolut Top sind, dann bist du mit einem preiswerteren Kamerasystem mehr als gut bedient und wirst deine Freude mit den Ergebnisse haben. Damit gelingen dir sogar richtige gute Shots, wenn die Bedingungen optimal sind. Beim nachfolgenden Foto der Tüpfelhyäne entstand zwar ein schönes, und scharfes Foto, aber die Separierung vom Hintergrund ist nur mässig ausgeprägt. Mit der Kombination aus Sony A1 + Sony 600 F4 wäre diese räumliche Trennung weitaus besser gelungen.
Sony A7RIV + Sony 200-600mm F5.6-6.3 bei F6.3 @600mm
Bei Beispiel 1 wirst du extrem schnell auf Kosten deutlich jenseits der 6'000 Euro zu liegen kommen für die Kamera + 1 Objektiv, selbst wenn du dich im Gebrauchtmarkt umschaust.
Bei Beispiel 2 kommst du mit etwa 3'000 Euro weg, ganz besonders wenn für dich auch der Gebrauchtmarkt in Frage kommt.
Wichtig ist, dass du die persönlichen Erwartungen und das Budget abgleichst bevor du was kaufst. Entweder du reduzierst deine Erwartungen ein kleinwenig, oder legst beim Budget noch ein paar Euros drauf. Gerade bei den Objektiven bieten sich als preiswertere Alternative auch Produkte sogenannter "Third Party" Anbieter wie beispielsweise Sigma oder Tamron an.
Hier gibt es die bekannten und äusserst beliebten SIGMA 150-600 F5.6-6.3 bzw. das SIGMA 60-600 F4.5-6.3 oder auch Tamron 150-600 F5.6-6.3 für die Mounts von Nikon (F) und Canon (EF). Für Sony gibt es aktuell nur kürzere Telezooms von Tamron und Sigma bis maximal 400mm.
Auf dem Gebrauchtmarkt bekommst du natürlich für 3000 Euro weitaus mehr, als bei einem Neukauf. Wenn du also nicht zwingend immer, dass Neuste vom Neusten brauchst und keine Mühe mit dem Kauf eines Gebrauchtsystems hast, dann kannst du hier gute Kameras und Linsen zu sensationellen Preisen ergattern. Eine Kamera die vor 5 Jahren geniale Fotos machte, macht dies auch heute noch wenn sie in technisch einwandfreiem Zustand ist.
Aber was sind denn die technischen Unterschiede zwischen teuren und günstigeren Kamera-Systemen?
Immer davon ausgegangen ein fachkundiger Anwender nutzt ein entry-Level und ein High-Ende System, die Fotos werden unter vergleichbaren Bedingungen mit der teuren Kombination nahezu immer besser bzw. ansprechender sein. Aber wieso? Worin liegen denn die genauen Unterschiede die dazu führen? Nachfolgende mal eine kleine Aufzählung einiger relevanter Punkte welche dafür sprechen, dass Equipment eben doch eine Rolle spielt:
Kameras
Kamera Autofokus ist besser (Treffsicherer und schneller, auch bei widrigen Bedingungen und mässigem Licht)
Die Kameras haben meist ein besseres Rauschverhalten bei hohen ISO Zahlen (Teilweise gar trotz mehr Megapixeln!)
Die Anzahl Serienbilder (Frames Per Second FPS) ist grösser (Anstelle 5, 6 oder 10 FPS sind 15, 20 oder gar 30 FPS möglich)
Vollformat anstelle APSC, für bessere Freistellung des Motivs und in der Tendenz auch besseres Rauschverhalten unter schwierigen Lichtsituationen
Höhere, besser nutzbare Megapixelzahl > 24 MP
Schnellerer Speicherkarten, besserer Serienfoto Buffer
Doppelkarten Slots, teilweise mit ein oder gar zwei XQD, CFExpress A/B parallel
Autofokus Messfelder decken >80% des Sensors ab (nur bei DSLM Systemen möglich). Toll und hilfreich vor allem bei der flexiblen Bildkomposition
Bessere Videofunktionen (ebenfalls eher bei DSLM der Fall)
Erhöhte Stabilität, bessere Wetterfestigkeit und Abdichtung gegen Staub etc.
Meist grössere Vielzahl von Customer Keys und Funktionen auf frei programmierbare Knöpfe und Drehregler
DLSM Kameras haben meist IBIS (In Body Stabilization), der Sensor ist 5-Achsen Bildstabilisiert.
usw.
Objektive
Erhöhte Stabilität, bessere Wetterfestigkeit und Abdichtung gegen Staub etc.
Die Linsen sind "Schneller", bedeutet sie haben eine grössere Blendenöffnung und lassen deshalb mehr Licht auf dem Kamerasensor. Je kleiner der F-Wert (Blendenwert) einer Linse ist, desto besser ist die Freistellung des Motivs vom Hintergrund und desto besser sind die Möglichkeiten zur Blauen Stunde bzw. bei schlechten Lichtverhältnisse schöne, rauscharme Fotos schiessen zu können. F4 ist weitaus offenblendiger als F5.6 oder gar F6.3 - der Unterschied in der Praxis ist sehr gross
Die Objektive haben oft zusätzliche frei programmierbare Funktionen (Tasten, Funktionsring etc.) welche dir einen "Quick-Access" zu voreingestellten Funktionen bieten ohne immer mühsam ins Kameramenü wechseln zu müssen.
Es wird hochwertigeres Glas verwendetet, bzw. die Vergütung des Glases und die damit einhergehenden Fehlerkorrekturen sind besser. Weniger störende Lens-Flares, Ghosting Effekte, purple Fringing, besserer Kontrast usw.
Das Frontelement ist meist kratzfester, da hochwertig beschichtet
Die Fokusmotoren welche die Linsen- bzw. Linsengruppen bewegen müssen während des Fokussierens, sind schneller, präziser und treffsicherer. Gerade bei schneller Action, vor allem wenn sich das Motiv auf die Linse zu bewegt, fällt dies enorm ins Gewicht.
Nur hochwertige Linsen sind auch in der Lage die ausreichende Abbildungsleistung für Kamerasysteme jenseits der 45MP zu bieten - eine günstige Linse wird hier zum "Bottleneck" und mindert die Qualität spürbar.
Hochwertige Linsen haben meist auch verschiedene Modi für die Bildstabilisierung. Also nicht nur An oder Aus, sondern Funktionen für Mitziehe (Panning Shots) oder auch wenn das Motiv sich eher unvorhersehbar bewegt.
Telekonverter zur Brennweitenerweiterung lassen sich in der Regel nur zufriedenstellend (wenn überhaupt) an hochwertigen Telezooms und vor allem an professionellen Festbrennweiten verwenden. Ein TC1.4 oder 2.0 funktioniert in der Regel am besten, an einem 400mm F2.8 oder 600mm F4 Objektiv.
Gibt es auch Nachteile von teuren Systemen gegenüber den preiswerteren Alternativen?
Wo Licht ist, ist auch Schatten, selbstverständlich haben teurere Systeme auch Nachteile (abgesehen vom Preis). Nachfolgend eine kurze Aufzählung der relevantesten Punkte, welche dir bewusst sein sollten:
Grösse & Gewicht, Vollformatkameras aber vor allem hochwertige & schnelle Linsen sind meist deutlich schwerer und auch grösser. Dies liegt vor vorallem daran, dass mehr Glas verbaut wird und Glas = Gewicht.
Gerade Festbrennweiten wie 400mm F2.8 oder 600mm F4 haben natürlich den extremen Nachteil, dass man weder rein- noch rauszoomen kann wie bei einem flexiblen Telezoom. Will man dennoch zoomen, muss man selbst näher zum Objekt hin bzw. weiter davon weg. Der "Zoom" sind also deine Füsse ;-)
Was bedeutet das nun alles für mich?
Das kann ich dir beim besten Willen nicht sagen, da ich weder deine Motive, deine Anspruchshaltung noch den Budget kenne. Ich will dir nur Gedankenanregungen auf den Weg geben. Ich masse mir nicht an, dir zu sagen was DU brauchst oder kaufen musst, dass kannst nur du abschliessend entscheiden. Was ich mir aber daraus erhoffe ist, dass du dir Gedanken machst zu deinem Profil (Motive, Budget, Qualitätsanspruch etc.) und dann daraus deine eigenen Schlüsse ableitest. Dies verhindert sowohl unnötige Frustration, als auch teuere Mehrfachkäufe und Systemwechsel, wie in meiner Vergangenheit. Folgendes kann ich dir aber sicherlich empfehlen:
Solltest du Tiere fotografieren wollen brauchst du definitiv eine Brennweitenabdeckung von 35-mindestens 400mm, was du mit cirka 2-3 Objektiven abdecken könntest.
Siehst du dich eher spezialisiert auf Vögel, oder auch scheue Rehe oder Füchse, dann wirst du wegen der weitaus grösseren Fluchtdistanz nicht um ein zusätzliches 600mm Objektiv herumkommen, mit nur 400mm ist da oft nur wenig zu machen.
Machst du eher People, Street und Car Fotografie, dann bist du im Bereich von 20-135mm gut aufgehoben. Auch diesen Bereich kannst du mit 3 Objektiven relativ gut abdecken.
Wieviel Geld du nun ausgeben möchtest dafür, ob du eher Zoom Linsen oder Festbrennweiten kaufst und ob dir Blende F4 oder grösser reicht, oder ob's doch eher gerade bei der People Fotografie in Richtung F1.8 oder sogar F1.4 bzw. F1.2 gehen soll, hängt von deinen Erwartungen und deinem Budget ab.
Mein Budget ist limitiert, wo also den Schwerpunkt setzen?
Wenn du ein eingeschränktes Budget hast wie >95% der Fotografen, und nicht bei Kamera + Objektiv aus dem Vollen schöpfen kannst, dann rate ich dir IMMER dazu dein Geld tendenziell eher in gutes Glas, als in die neuste Kamera zu investieren.
Viele Nachteile eine entry-Level Kamera kann man umgehen bzw. mit guter Anwendungstechnik relativieren, wenn man weiss was man macht. Schlechtes Glas jedoch bleibt schlechtes Glas und über den Look eines Fotos Entscheides nichts mehr, als das dazu verwendete Objektiv.
Also lieber eine eine hochwertiges Objektiv an eine günstige Kamera montieren, als umgekehrt. Du würdest die Möglichkeiten der Kamera sowieso nicht ausschöpfen können und dein Flaschenhals wäre immer das Objektiv. Ebenfalls hat man gute Objektive meist für viele Jahre, aber Kameras kommen und gehen.
Fazit
Also, du siehst das verwendete Equipment spielt natürlich eine Rolle und je professioneller du arbeiten möchtest, je hochwertiger die Fotos aussehen sollen und je mehr kreativen Spiel- und Freiraum du benötigst, desto wichtiger wird dieser Aspekt. Auch wenn du häufig in den frühen Morgen- oder Abendstunden unterwegs sein willst oder maximale Freistellung brauchst, auch dann benötigst du entsprechend hochwertiges und vorallem lichtstarkes Equipment.
Aber eine teure Ausrüstung ist definitiv NICHT erforderlich wenn man einfach nur gute Fotos machen und Spass an der Fotografie haben möchte. Je grösser jedoch deine Ansprüche und Ziele sind, desto limitierender kann der Faktor Equipment für dich werden. Wenn dies bei dir aber gar kein grosses Thema ist, dann kannst du dich nun getrost entspannt zurück lehnen und die anderen ihr Geld ausgeben lassen ;-)
Es gibt sogar noch einen weiteren Trost zum Schluss. Denn wenn du nämlich nicht weisst was du tust, dann nützt dir auch das Beste vom Besten nichts. Wenn du dein Handwerk aber verstehst, dann zauberst du auch mit relativ preiswertem Equipment tolle Ergebnisse. Am Ende des Tages schiesst tatsächlich DU die Fotos und nicht deine Kamera.
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